In der Welt der Mode gibt es Geschichten, die weit über den Stoff hinausgehen und tief in die Traditionen eines Handwerks eintauchen. Ein solches faszinierendes Beispiel ist die Shibori-Technik, die seit über 400 Jahren im kleinen Dorf Arimatsu in Japan gepflegt wird. Im Interview mit dem Designer Hiro Murase von Suzusan erfahren wir nicht nur von der reichen Geschichte des Shibori-Handwerks, sondern auch von einer persönlichen Reise, die das Erbe einer Familie und einer Tradition bewahrt und in die moderne Modewelt bringt. Blicken Sie in diesem Blogbeitrag hinter die Kulisse des Labels Suzusan und lernen Sie die Geschichte und Tradition des Shibori Handwerks besser kennen.
Dein Handwerk, die Shibori Technik hat eine sehr alte Tradition, könntest Du uns einen kurzen Abriss über die Geschichte des Shibori Handwerks geben.
Hiro Murase: Arimatsu, meine Heimat, liegt zwischen Tokyo und Kyoto, ungefähr in der Mitte Japans. Es ist ein kleines Dorf, wo die Tradition der Farbtechnik „Shibori“ seit über 400 Jahren existiert. Shibori ist eine Reservierungstechnik, ähnlich wie Batik. Der Stoff wird abgebunden, genäht oder gepresst und anschließend gefärbt. Diese Technik wird vor allem für Kimonos oder Yukata (die Sommer-Version des Kimonos aus Baumwolle) verwendet. Jede Familie in Arimatsu hat ihre eigene spezielle Technik. Um einen Stoff herzustellen, sind normalerweise 5-7 verschiedene Familien involviert. Das ganze Dorf agierte daher wie eine Fabrik, und wir haben über Generationen hinweg gemeinsam gearbeitet. Meine Familie übt seit über 100 Jahren die Shibori Technik aus, und ich repräsentiere bereits die fünfte Generation.
Am Beginn Deiner Studien/Berufslaufbahn orientiertest Du Dich ganz woanders hin und wolltest eigentlich nicht die Familientradition weiterführen. Was war der Auslöser, dass Du dann doch – zum Glück für uns alle, das Handwerk wieder aufgenommen hast?
Hiro Murase: Ich kam nach Europa, als ich 20 Jahre alt war, um Kunst zu studieren. Zuerst war ich in England, dann zog es mich nach Düsseldorf, wo ich an der Kunstakademie Bildende Kunst und Architektur studierte. Obwohl meine Familie in Japan im Textilgeschäft tätig war und ich ursprünglich nichts damit zu tun haben wollte – es war zu viel Stoff im Haus und ich wollte ihn nicht jeden Tag sehen –, habe ich mein Studium in Deutschland sehr genossen.
Nach einigen Jahren in Deutschland rief mich mein Vater an und teilte mir mit, dass er nach England eingeladen wurde, um seine Arbeiten auszustellen. Da er kein Englisch sprach, bat er mich um Unterstützung. Ich flog hin und half ihm. Erst in diesem Moment sah ich die Stoffe außerhalb unseres Hauses und dachte: „Oh, sie sind eigentlich schön”. Gleichzeitig erfuhr ich von meinem Vater, dass diese Handwerkstradition kurz vor dem Aussterben stand. Damals war er fast 60 und einer der letzten Handwerker. Alle Handwerker waren zwischen 60 und 90 Jahre alt. Wenn einer aufhörte oder starb, ging eine ganze Technik verloren. Schon damals waren mehr als die Hälfte der Handwerker nicht mehr tätig oder bereits verstorben.
Im Jahr 2008 begann ich an einem Studentenwohnheim in Düsseldorf mit einer Kollektion von einigen Schals der Marke Suzusan, die die Techniken meiner Heimat verwendeten, um diese Tradition für die nächste Generation weiterzugeben. Nach 15 Jahren haben wir nun insgesamt 19 Mitarbeiter in Arimatsu, die zwischen 20 und 30 Jahre alt sind, und sie arbeiten täglich mit der Shibori Technik. Dank unserer Kunden haben wir jetzt eine Zukunft.
Deine Kollektionen sind immer einem Thema unterstellt, wie kommst Du auf diese Themen und was bedeuten sie? Die jetzige Herbst/Winter Kollektion hat den Namen „Honesty“, die kommende Frühjahr/Sommerkollektion trägt den Namen “Encounter”, kannst du uns kurz beschreiben was Dein Gedanke dabei war?
Hiro Murase: Ich reise sehr viel und treffe viele Menschen, erkunde unterschiedliche Landschaften und erfahre Geschichten auf meinem Weg – solche Erlebnisse geben mir Inspirationen. Beispielsweise verbringe ich jeden Sommer seit 8 Jahren in Basel und besuche dort das Museum der Kulturen. Dort sind beeindruckende 330.000 Objekte aus der ganzen Welt ausgestellt. Ich bin das erste Mal dorthin gegangen, um einen Workshop zu leiten und auch Forschung in ihrer Sammlung zu betreiben. An einem Tag haben sie mir ihre Sammlung von Shibori gezeigt, genau aus meiner Heimat. Sie besitzen fast 250 Stoffe, Kimonos oder Werkzeuge, einige davon sind Dinge, die ich in Arimatsu nicht mehr finden kann. Ich war fasziniert von dieser Begegnung, meinem Heimatgefühl in Basel, über 9000 km entfernt, und begann, zu studieren, wie sie damals diese Muster hergestellt haben. Ich integrierte die Muster dann in meine Kollektion – es fühlte sich an wie ein Gespräch mit den Handwerkern von damals.
Für „Honesty“ kam die Inspiration aus dem sozialen Bereich. Als ich mit dem Design begann, fanden gerade die Black Lives Matter-Proteste statt, die Kluft zwischen Menschen vertiefte sich mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs noch mehr, und es schien kein Ende zu nehmen. Die Frage, wer die Wahrheit sagt und wer lügt, war unklar, und die Zukunft schien unsicher. Dann, nach der langen Zeit der Corona-Pandemie, war ich zum ersten Mal wieder zu Hause. Nachdem ich zweieinhalb Jahre lang nicht nach Japan reisen konnte, war es mir jetzt wieder möglich mich mit den Shibori Handwerkern zu treffen. Sie arbeiteten genauso hart mit ihren Händen wie zuvor. Sie verrichteten ihre Arbeit ganz natürlich, bodenständig und mit viel Verantwortung und Ernsthaftigkeit. Ich dachte, dass wir von ihnen lernen können, da es viele Modetrends auf der Bühne gibt, aber das, was wir tun, ist das Gegenteil. Es ist menschlich, lokal, wir können zeigen, wer, wo und wie die Dinge gemacht werden. Unsere Teile werden nicht maschinell hergestellt. Jedes Stück, das wir produzieren, hat eine Geschichte, wurde per Hand und im Laufe der Zeit gemacht. Wir möchten dies den Menschen zeigen und eine Alternative zu der schnellen vergänglichen Mode darbieten.
Zusätzlich zu Deinen Kollektion hast Du ja noch etliche andere Projekte. Kannst Du uns kurz erläutern um was für Projekte es da geht?
Hiro Murase: Durch meine 15 Jahre Erfahrung habe ich viel gelernt, und dadurch hat ein lokales Handwerk eine neue Zukunft, obwohl es zuvor vom Aussterben bedroht war. In Japan gibt es offiziell 237 traditionelle Handwerke, die sich überall von Hokkaido bis Okinawa erstrecken. Japan ist ein Land der Handarbeit, etwas, das in vielen anderen Ländern bereits verloren gegangen ist. Doch die meisten lokalen Handwerke stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie wir es in Arimatsu tun: das Fehlen einer nächsten Generation. Viele wissen nicht, wie sie es in ein neues Leben führen oder im Ausland vermarkten können. Durch meine Erfahrung und mein Design möchte ich dazu beitragen, diese Traditionen zu unterstützen und weiterzugeben. Dies ist ein laufendes Projekt, an dem ich derzeit arbeite.
Ich bin auch in einem weiteren Projekt in meiner Heimat involviert. Seitdem das Reisen nach Japan wieder möglich ist, planen wir lokale Kultur-Touren. Dabei besuchen wir historische Häuser oder Ateliers, gehen in lokale Restaurants, machen Workshops, um Shibori selbst zu erleben, und bieten die Möglichkeit, unsere Werkstatt und Archive zu besichtigen. Ich erkenne, dass eine Tradition nicht nur von Herstellern geschaffen wird; es sind immer die Menschen, die sie bis jetzt benutzt haben. Daher wurde die Tradition in meinem Heimatort über 400 Jahre aufrechterhalten. Der Austausch mit Herstellern und Benutzern ist für uns von großer Bedeutung, und das ist ein Wert, den wir zeigen können, den viele große Luxusmarken nicht haben.
In naher Zukunft plane ich, ein Hotel in meiner Heimat zu eröffnen. Dort können die Menschen übernachten und die gesamte Tradition erleben, indem sie in einem kleinen japanischen Dorf leben. Es ist eine einzigartige Erfahrung, die man nicht in Paris oder New York machen kann.
Deine Kollektionen sind so besonders und dennoch so zeitlos, was möchtest Du der Kundin vermitteln, die Deine Mode trägt?
Hiro Murase: Der Herstellungsprozess mit der Shibori Methode ist viel Trial and Error. Diese Technik ist nicht etwas, das man einfach kopieren und einfügen kann. Das Ergebnis kommt erst am Ende, und es passiert oft, dass nach mehreren Tagen intensiver Vorbereitung ein kleiner Fehler bei der Designentwicklung oder auch in der Produktion auftritt. Unsere Produktion ist sehr begrenzt; alles wird immer noch von Hand gemacht, so wie vor einigen Hundert Jahren. Ich bin sehr dankbar, dass es Menschen gibt, die das, was wir herstellen, nutzen. Wie ich bereits erklärt habe, können wir die Tradition nicht allein fortführen.
Tradition ist nicht etwas aus der Vergangenheit; sie ist das, was gerade geschieht und die Zukunft gestaltet. Wenn ich allein auf die letzten 50 Jahre zurückblicke, habe ich festgestellt, dass viele wunderschöne Handwerke aus der ganzen Welt verloren gegangen sind, was mir besonders im Depot in Basel aufgefallen ist.
Dafür danke ich Ihnen. Sie tragen dazu bei, die Zukunft der Tradition gemeinsam zu gestalten und engagieren sich sehr dafür, sie weiterzuführen. Falls Sie die Gelegenheit haben, nach Japan zu reisen, kontaktieren Sie uns bitte und besuchen Sie uns gerne in Arimatsu. Wir würden uns freuen, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. Arigato!
Lieber Hiro, vielen lieben Dank für das Interview!
In einer Welt, in der sich Modetrends rasch ändern, erhebt sich die Suzusan-Kollektion als zeitloses Zeugnis handwerklicher Meisterschaft und kultureller Verbundenheit. Durch Hiro’s leidenschaftliche Hingabe an die Shibori-Technik und sein Bestreben, lokale Handwerke zu unterstützen, wird nicht nur Mode geschaffen, sondern eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft geschlagen.
Jedes Stück erzählt eine Geschichte, jedes Muster ist ein Dialog mit den Handwerkern von einst. Die Suzusan-Mode lädt dazu ein, nicht nur Kleidung zu tragen, sondern eine reiche Tradition zu erleben. Hiro’s Einladung, Arimatsu zu besuchen, wird zu einer Reise durch 400 Jahre Geschichte, eingewoben in jeden Stoff.
Wir hoffen, dass die Suzusan-Kollektion nicht nur Ihren Kleiderschrank schmückt, sondern auch eine Verbindung zu den Geschichten und Menschen hinter den Stoffen schaffen. Arigato und auf eine gemeinsame Zukunft, in der Tradition weiterlebt und Mode mehr ist als nur ein flüchtiger Trend.